Die Anzucht der Gattungen Chloraea Lindl. 1827, Gavilea Poepp. 1833 und Megastylis Schltr. 1914
Gerhard Raschun jun.
Zusammenfassung:
Bisher wurden die Gattungen Chloraea, Gavilea und Megastylis von den Wissenschaftlern kaum beachtet. Nur wenige Systematiker beschäftigen sich mit der Subtribus Chloraeinae Reichenbach.
Die Gattung Chloraea ist mit ca. 45 Arten (Correa, 1969) in Südamerika beheimatet. Die Verbreitung erstreckt sich vom Feuerland entlang an den Andenausläufen der Pazifikküste bis nach Peru, bzw. an der Atlantikküste entlang bis nach Südbrasilien. Die Gattung Gavilea beschränkt sich mit ca. 15 Arten auf Südchile, Südargentinien und den Malvinen. Die Gattung Megastylis, 7 Arten umfassend, ist ein Endemit Neu Kaledoniens, die Art M. gigas findet man auch noch auf den Neuen Hybriden.
Trotz der in Größe, Gestalt und Farbe bezaubernden Blüten, welche mit Epiphytenblüten an Schönheit jederzeit konkurrieren können, fanden diese Gattungen auch bei Kultivateuren keinen Anklang. Einerseits mag ihre Unbekanntheit und die beinahe unmögliche legale Beschaffung Schuld tragen, andererseits sollen Pflanzen dieser Gattungen aufgrund ihres angeblich hohen Mykotrophiegrades (Perner, 1992) schwierig in Kultur zu pflegen sein. Laut mündlicher Aussagen einiger Erdorchideen-Kultivateure (anonymus, 1996), sind die vor einigen Jahren von einer deutschen Gärtnerei importierten und veräußerten Pflanzen bald darauf aus den Kulturen verschwunden.
Die jüngsten, bahnbrechenden Erkenntnisse der Molekularbiologie und der Phylogenetik unterstützen eine Neubearbeitung der Orchidaceae. Dafür ist jedoch laufend frisches Blütenmaterial nötig, welches wegen fehlender Kulturpflanzen schwer zu beschaffen ist. Dies war unter anderem der auslösende Faktor, um mit Anzuchtversuchen mit diesen Gattungen zu beginnen, und in weiterer Folge einen Kulturbestand zu erhalten.
Durchführung
Neben Samen aus reifen, bereits aufgesprungenen Kapseln von verschiedenen Chloraea-Arten (C. cylindrostachya, C. magellanica, C. reticulata, spec. etc.), Gavilea luteaund Megastylis spec., wurden noch grüne Samenstände von G. lutea für die Anzucht verwendet. Mikroskopische Untersuchungen zeigten, dass die Samenstruktur der von weitgehend verwandten Gattungen aus Australien ähneln (Caladenia, Pterostylis, Thelymitra, Pachyplectron aus Neu Kaledonien etc.). Die erhaltenen Samenportionen waren durch den Transport stark mit Bakterien und Schadpilzen kontaminiert. Um die Saat steril auf den asymbiotischen Nährboden zu bekommen, wurden die Samen vor der Aussaat 24 h lang bei Raumtemperaturen in 1%iger Saccharoselösung inkubiert. Dadurch werden Schadpilze, etwa Aspergillus-Stämme oder ähnliche Pilze bzw. Sporen, welche innerhalb der Testa versteckt und für das Desinfektionsmittel meist unerreichbar sind, zum Wachstum angeregt, und werden bei der folgenden Desinfektion leichter abgetötet.
Die Samen der untersuchten Arten zeigten sich analog den australischen Arten Cryptostylis, Thelymitra, Caladenia etc. sehr empfindlich gegenüber höherer Hypochlorit-Konzentration bzw. längerer Einwirkzeit.
Der geeignete Bleichgrad der Chloraea– und Gavilea-Samen wurde durch 6-7minütige Behandlung mit 0,5%iger Natriumhypochloritlösung erreicht. Dem Desinfektionsmittel wurde zur Herabsetzung der Oberflächenspannung bzw. um eine Nachwirkung des Hypochlorits zu verhindern, etwas Tween 80 (Polyoxyäthylensorbitanmonooleat) zugesetzt.
Als Aussaat- sowie Umbeet-Nährboden wurde ein SM-Medium (Malmgren) gewählt. Dieser Nährboden zeichnet sich besonders durch seine geringe Toxidität gegenüber der Sämlinge aus, da anorganisches Nitrat vollständig durch Aminosäuren als Stickstoffquelle substituiert ist.
SM-Nährboden (nach Malmgren, 1992):
Ca3(PO)4 75mg
KH2PO4 75mg
MgSO4 75 mg
FeSO4 10 mg
Soluvit 1 Ampulle (Vitamin-B-Lösung)
Vaminolac 300 mg Aminosäuren
Saccharose 10 g
Aktivkohle 0,5-1g
Agar Agar 8 g
Ananassaft 25 ml
ad 1000ml demin. Wasser
pH 5,5 – 5,8 einstellen
Die Aussaatflaschen wurden im Dunkeln bei 22°C aufgestellt. Nach etwa 3 Wochen konnte die Keimung festgestellt werden. Die Keimrate war relativ gering, lag je nach Art zwischen 5 und 10%. Es ist anzunehmen, dass durch eine verfeinerte Saatvorbehandlung mit 0,5%iger H2SO4 und 0,3%igem NaOCl, sowie frischer Saat eine durchaus höhere Keimrate erreichbar wäre.
Von Gavilea lutea wurden auch grüne Samenstände erhalten. Die Reifezeit der unreifen Kapseln war unbekannt. Die Samen an den Samenleisten hatten ein weißes, glasiges Aussehen, die Zellen der Testa waren noch nicht abgestorben und verholzt. Der auf SM-Medium ausgesäte unreife Samen zeigte schon nach zwei Wochen eine nahezu 100%ige Keimrate.
Ein Monat nach der Aussaat erreichten die Protokorme das Kreiselstadium. Auf ein neues Medium umgebettet und unter Licht gestellt, streckten die Protokorme alsbald ihre Sproßspitzen und bildeten schmale, 4-6 cm lange rübenförmige Wurzeln. Nach einem Jahr erreichten die Sämlinge eine Höhe von 4-7 cm, und waren pikierfähig.
Die Probleme, welche sich innerhalb der in vitro Phase zeigen, sind ähnlich denen, die bei der Anzucht von Himantoglossum-Arten auftreten. Einige Protokorme proliferieren, obwohl auf jegliche Zugabe von Auxinen verzichtet wurde. Protokorme mit Sproßspitzen jedoch wachsen und differenzieren sich ausgezeichnet auf frischem Nährboden weiter. Eine Kühlphase, welche die Bildung der Rübenwurzeln induzieren sollte, war nicht nötig. Bei einer zu hohen Protokormdichte wurden die Protokorme nekrotisch, ähnlich wie auch bei Ophrys– und Orchis-Arten.
Symbiotische Aussaat
Da die Forschungsarbeit der letzten Jahre primär der symbiotischen Anzucht gewidmet wurde, und bisher gute Ergebnisse bei zahlreichen Gattungen erzielt werden konnten, wurden auch symbiotische Aussaatversuche mit reifer Chlorea-Saat durchgeführt.
Als Medium wurde bei Aussaat und Umbetten der Oat-Nährboden (Clements et al., 1986) verwendet.
2,5 g Haferflocken gemahlen
7 g Agar Agar
ad 1000 ml demin. Wasser
Zum Test gelangten Pilzstämme, welche bisher erfolgreich bei anderen Gattungen verwendet wurden. Bei gleichen Bedingungen, wie bei der asymbiotischen Aussaat, konnte Keimung und effizientes Wachstum auf zwei Pilzen festgestellt werden. Pilz I wurde aus Pterostylis isoliert, Pilz II aus Orchis morio. Beide Pilze wurden laut Hyphenmorphologie(Lactophenolblau-Präperat) und Anfärben der Zellkerne (Acridinorange-Präperat) am ehesten der Gattung Ceratorhiza (Ceratobasidium-telemorph) zugeordnet.
Die symbiotischen Protokorme wurden alle 12 Wochen auf neuen Haferflocken-Nährboden gelegt. Nach 6 Monaten erreichten die Sämlinge Pikierreife, jedoch waren die Wurzeln wegen der Ernährung über die Symbionten nicht so stark ausgeprägt, wie in der pilzfreien Kultur.
Da von Megastylis spec. leider nur sehr wenig Saat vorlag, konnte nur ein symbiotischer Versuch durchgeführt werden. Unter gleicher Vorbehandlung zeigten sich auf beiden Pilzen einige Protokorme, die zu besonders fleischigen Sämlingen weiterwuchsen, ohne ihre Sproßspitze zu sehr zu strecken.
Kultur
Grundsätzlich wurden zwei Substrattypen getestet. Substrattyp I bestand im Hinblick auf den Naturstandort aus neutralem, krümeligem Lehm, bei welchem durch Zusatz von Seramis und Perlit die Wasser- und Luftführung verbessert wurde. Substrat II, ein bisher für viele Erdorchideen bewährtes Gemisch, besteht aus 1 Teil torffreiem Rindenhumus und 3 Teilen Seramis:Perlit: gutgewaschenem Blähton 2-4mm (1:1:1). In beiden Substrattypen etablierten sich die Sämlinge. Zu erwähnen wäre eine besondere Empfindlichkeit in den ersten Wochen gegenüber zu geringer Luftfeuchtigkeit, wie sie bei anderen Sämlingen aus der Flasche nicht beobachtet werden konnte. Das Substrat selbst sollte jedoch recht trocken gehalten werden, zu starkes Gießen führt zum Verlust der Sämlinge. Die symbiotischen Sämlinge zeigten sich wesentlich resistenter gegenüber Fäulnis. Auch an andere Kultivateure weitergegebene Sämlinge zeigten ein zügiges Wachstum, welches für die gute Kultivierbarkeit spricht. Die Chloraea-, Gavilea-, und Megastylis-Sämlinge werden zusammen mit anderen Arten aus dem gemäßigten Klima kultiviert. Allgemein kann die Kultur mit der von mediterranen Arten verglichen werden. Während die Temperatur an Megastylis-Standorten auf Neu Kaledonien zwischen 0 und 30 °C schwankt, kann es an höher gelegenen Chloraea– und Gavilea-Standorten am Fuß der Anden auch zu Schneefall und Temperaturen unter den Gefrierpunkt kommen.
Schutz
Noch wird es einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die Sämlinge Blühstärke erreichen werden, doch der bisher erfolgreiche Verlauf der Anzucht und Kultur zeigen, dass der Vorschlag von Perner (1992), einige Pflanzen für Kulturversuche –durchgeführt von Speziallisten- den Naturstandorten zu entnehmen, umgangen werden kann. Da Botanische Gärten und sonstige öffentliche Institutionen meist bei ihrer Kultur ein breites Artenspektrum abdecken müssen, sind diese kaum imstande, schwer zu kultivierende terrestrische Arten verlustfrei zu pflegen. Nur wenige Speziallisten, zumeist Privatpersonen, sind dazu wirklich imstande.
Auch bei der Inkulturnahme des 1981 durch Elizabeth Besse in Peru entdeckten Phragmipedium besseae kam es zu Totalausfällen. Inzwischen sind aus Samen gezogene Pflanzen selbst für Anfänger am Fensterbrett erfolgreich zu kultivieren. Ähnliches gilt auch für Goodyera macrophylla. Diese Beispiele könnte man mit weiteren Arten beliebig fortsetzen. Schuld an den Ausfällen der in Kultur genommenen Importpflanzen ist hier also keinesfalls der Mykotrophiegrad, sondern im weitesten Sinne sind es Kulturfehler. Alle klimatischen Faktoren der Standorte lassen sich unter Glas nicht simulieren, und entnommene Pflanzen besitzen eine geringe Toleranz gegen diese Kulturfehler.
Noch gibt es große, unberührte Bestände von Chloraea und Gavilea in Patagonien und im Andengebiet. Diese findet man in streng bewachten Nationalparks. Andererseits werden von lateinamerikanischen Staaten auch für wissenschaftliche Zwecke keine Ausfuhrgenehmigungen ausgestellt, sodass ein legaler Import nach Europa unmöglich ist.
Aussichten
Es scheint, dass der Mykotrophiegrad (ein Begriff, den Sadovsky prägte, und heute höchst umstritten ist) von Chloraea, Gavilea und Megastylis überschätzt wurde. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass sich sowohl Anzucht wie auch Kultur bewerkstelligen lassen. Zur Klärung der Mykotrophieprobleme wären aber Wurzelentnahmen nötig, um über die Identität und Rolle der Symbionten Auskunft geben zu können.
Die Nachfrage nach Blütenmaterial weiterer, den untersuchten Arten nahestehenden Gattungen, etwa Bipinnula, Codonorchis, Geoblasta und Rimacola (Australien), zeigt die Notwendigkeit weiterer Arbeit auf diesem Gebiet. Erschwert wird dies vor allem durch die schwierige Beschaffung des Samenmaterials.
Wenngleich nun auch durch in vitro-Kulturen Sämlinge in genügender Zahl produziert werden, wird es an der weiterführenden Kultur liegen, ob hier der Aufwand mit einen etablierten Bestand und Blüten honoriert wird.
Dank
Für wertvolle Hinweise bezüglich Kultur danke ich Herrn M. Döpper/Ledenitzen. Größten Dank schulde ich auch Herrn J. Böhm/Homburg und Herrn G. Deutsch/Graz, für die gute Zusammenarbeit. Stellvertretend für die vielen Kollegen, welche die Arbeit mit Samenmaterial unterstützten, möchte ich hier Herrn H.E. Brennecke/Hoisdorf, den Herren J. und P. Poweleit/Neumünster, Herrn A. Sieder und Herrn F. Tod/beide Botanischer Garten Wien, und Herrn J. Sommer/Mörbisch danken. Mein besonderer Dank, für die Unterstützung, welche diese Arbeit erst ermöglichte, gilt Herrn K. Robatsch/Klagenfurt.
Literatur
Anonymous (1996): Mündliche Mitteilung.
Brieger, F.G., R. Maatsch und K. Senghas: Die Orchideen R. Schlechter, Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg (in Fortsetzung)
Clements, M.A., H. Muir und P.J. Cribb (1986): A preliminary report on the symbiotic germination of European terrestrial orchids. Kew Bulletin Vol. 41 (2). 437ff.
Correa, M.N. (1969): Chloraea, genero sudameriko de Orchidaceae.Darwiniane 15.No.3-4
Dodson, C.H. und J.Kuhn (1981): Phragmipedium besseae-A new species from Peru. AOS Bulletin 50(11): 367-369
Malmgren, S. (1992): Large scale asymbiotic propagation of Cypripedium calceolus. Botanic Gardens Micropropagation News, Bot. Garden Kew: 1(5): 59ff
Perner, H. (1992): Chloraea magellanica Hook. f. 1847, eine bemerkenswerte Orchidee aus dem Süden Chiles und Argentiniens. Die Orchidee 43 (5), 227ff.
Robatsch, K. (1997): Beiträge zur Phylogenie und Blütenbiologie der Subtribus Chloraeinae der Tribus Spirantheae und der Subtribus Codonorchidinae der Tribus Diurideae. Manuskript Sadovsky, O. (1968): Orchideen im eigenen Garten.BLV
Bilder
Bild 1: Gavilea lutea am Standort, Habitus, Patagonien, Photo K. Robatsch
Bild 2: G. lutea, Infloreszenz, Photo K. Robatsch
Bild 3: links: vereinzelte, fast blühstarkes Exemplar von Chloraea spec.,
mitte: Gemeinschaftstopf mit bereits etablierten Gavilea lutea, rechts:
pikierfertige Sämlinge von Chloraea spec., besonders auffallend das starke Wurzelwachstum Photo G. Raschun
Ergänzung:
Hier werden Aufnahmen der gezogenen Pflanzen im 5ten Vegetationsjahr gezeigt. Es ist anzunehmen, dass dies die ersten künstlich gezogenen Gavilea ssp./ Chloraea ssp. in Kultur sind, die zur Blüte gebracht werden konnten.
Anschrift des Autors:
Gerhard Raschun jun.
Elsterweg 14
A-9161 Maria Rain
Austria/Europe